29. März 2011 – Archiv
Der Tatort “Im Netz der Lügen” hätte an so mancher Stelle in die falsche Richtung abbiegen und die typischen Krimi-Lesben-Klischees bedienen können. Dass dies nicht geschehen ist – anders als beispielsweise noch vor kurzem bei den Kollegen aus Köln – ist den MacherInnen hoch anzurechnen und machte diesen Bodensee-Tatort sehr sehenswert.
Eine Frau wird beim Joggen überfallen, wehrt sich und erschlägt den Angreifer. Sie ist Richterin, sportlich, tough, und kurze Haare hat sie auch noch. Spontane erste Assoziation wahrscheinlich der meisten ZuschauerInnen: Lesbe?
Kann sein, kann auch nicht sein, es spielt aber auch keine Rolle. Über das Liebesleben der Juristin erfährt der Zuschauer nichts, wahrscheinlich weil sie schlicht keines hat und das im Übrigen für den Fall auch nicht relevant ist. Die Frage ist hier auch nicht, ob sie die Täterin ist oder nicht, denn das ist von Anfang an klar: Sie ist es.
Die Frage ist vielmehr, ob es tatsächlich Notwehr war, ob sie in eine Falle gelockt wurde, oder ob sie es war, die dem Opfer eine Falle gestellt hat. Hat es ihr vielleicht nicht mehr gereicht, gewalttätige Männer “nur” hinter Gitter zu bringen? Oder gibt es da tatsächlich jemanden im Hintergrund, der die Richterin und einen unschuldigen Mann in diese Situation gebracht hat, indem er den Mann mit der Aussicht auf ein sexuelles Abenteuer in Form einer gespielten Vergewaltigung zu der Stelle gelockt hat, an der die Frau vorbeigejoggt ist?
Schnell stellt sich heraus, dass es diesen jemanden tatsächlich gibt. Die Richterin selbst ist es, die sich plötzlich an den Fall erinnert, in dem sie, die Unfehlbare, sich vielleicht doch geirrt haben könnte. Was sie auf diese Idee bringt, ist eine Szene aus ihrem Gerichtssaal, eine kurze, fast unmerkliche Geste der Vertrautheit zwischen einer Frau, die ihren Mann wegen Vergewaltigung in der Ehe angezeigt und seine Verurteilung erreicht hat, und ihrer Anwältin.
Und plötzlich ist da dieser Verdacht: Hat die Frau vielleicht gelogen, um ihren Mann loszuwerden und mit ihrer Geliebten zusammen sein zu können? Und will dieser Mann sich jetzt vielleicht rächen? Und was noch wichtiger ist: Sollte tatsächlich auch dieser Tatort das Klischee der bösen Lesben bedienen, die einen unschuldigen Mann ganz hinterhältig reinlegen und ihn damit um seine Existenz bringen?
Denn tatsächlich sind die Ehefrau und die Anwältin jetzt ein Paar, und schließlich ist der Ehemann so ein Netter, der auch immer wieder seine Unschuld beteuert, und nach einiger Zeit kommt sogar Kommissarin Klara Blum auf diese Idee, als sie nämlich ebenfalls eine kurze Berührung der beiden Frauen beobachtet und den – letztendlich richtigen – Schluss daraus zieht, dass die beiden sich lieben. Also, Fall gelöst, der Ehemann ist zwar der Täter, aber eigentlich sind die Lesben die Bösen?
Zum Glück hat es sich Drehbuchautorin Dorothee Schön („Frau Böhm sagt Nein”) nicht so einfach gemacht, und das unterscheidet diesen Tatort wohltuend von so manch anderem Krimi, in dem es (auch) um die Liebe zwischen Frauen geht. Irgendwie wirken die beiden Frauen nämlich einfach zu nett, um sich so ein perfides Spiel ausgedacht zu haben, und dass sie jetzt so ganz ohne schlechtes Gewissen offensichtlich glücklich zusammenleben, passt auch nicht ins Bild. Und wenn seine Frau gelogen hat, warum sollte der Mann sich dann an der Richterin rächen?
Auch Klara Blum glaubt den Frauen schließlich. Als Sandra nämlich erzählt, dass die Vergewaltigung just an dem Abend passiert ist, an dem sie ihrem Mann gesagt hat, dass sie ihn wegen Anwältin Gabriele verlässt, da ist das nicht nur glaubhaft, sondern es liefert auch gleich noch den Schlüssel für die Lösung des Falles. Denn tatsächlich ist ihr Ex-Mann Ernst der Täter im Hintergrund, aber er hat es nicht getan, weil er zu Unrecht verurteilt worden ist, sondern weil er gewalttätig gegenüber Frauen ist und sich an den Frauen rächen wollte, die dieser Gewalt die Stirn geboten haben – seiner Frau, deren Anwältin/Geliebten und eben der Richterin.
Nun könnte man sich darüber beschweren, dass auch in diesem Tatort schon wieder eine lesbische Frau zum Opfer geworden ist. Das ließ sich allerdings schon deshalb nicht vermeiden, weil eben dieser Gewaltakt der Auslöser für die späteren Taten war. Außerdem ist es ja auch leider nicht unrealistisch, dass Frauen wegen ihrer sexuellen Orientierung vergewaltigt werden.
Und noch etwas kann man den MacherInnen von “Im Netz der Lügen” in Sachen Klischeevermeidung zugute halten: Dass es zu der vom Täter geplanten Vergewaltigung der Anwältin nicht gekommen ist und auch der Überfall auf die Ehefrau verhindert werden konnte.
Und nachdem die Lesbe gerettet und der Täter überführt ist, schafft es dieser Tatort schließlich auch noch, den ursprünglichen Handlungsbogen wieder zu schließen, indem die Geschichte sich noch einmal der Richterin zuwendet, die man zwischenzeitlich schon fast vergessen hatte.
Die ist nun zwar entlastet, aber trotzdem nicht unschuldig, und das ist es schließlich, woran die toughe Richterin fast zerbricht: Dass sie, die vermeintlich Unfehlbare, eben doch nicht so unfehlbar ist, und dass nicht, weil sie etwa einen Unschuldigen verurteilt hätte – was sie ja nicht hat – sondern weil sie einen Menschen getötet hat, weil sie fünfmal zugeschlagen hat, wo einmal gereicht hätte, und dass nicht aus Angst, sondern aus Verachtung. Ein großartiges Frauenporträt, stark gespielt von Karin Giegerich, die mit Eva Mattes als Klara Blum eine erneut sehr starke Mit- bzw. Gegenspielerin hatte.
Die weiteren Handlungsstränge dieses Tatorts – der Professor, der sich mit Lügen auskennt („Lie to Me” lässt grüßen), und die Sekretärin, die von ihrem Freund ausgenutzt wird, um an Informationen über die Ermittlungen zu gelangen – sind nicht nur für diesen Artikel nebensächlich, sondern sie waren es eigentlich auch für den Film selbst, was ein bißchen schade ist, der Qualität dieses Tatorts aber zum Glück keinen Abbruch getan hat.
Und was die typischen Krimi-Lesben-Klischees angeht: Die wären deutlich einfacher zu ertragen, wenn es endlich eine lesbische Kommissarin im deutschen Fernsehen gäbe.
Liebe FernsehmacherInnen: Wir warten!