31. Oktober 2016 – Archiv
Visibility matters – Sichtbarkeit ist wichtig. Im deutschen Fernsehen lässt sie jedoch leider zu wünschen übrig. Ein Frustbeitrag über den Status der Repräsentation lesbischer, bisexueller, queerer Frauen in deutschsprachigen Serien.
In den vergangenen Jahren habe ich, jeweils im Oktober, eine Übersicht über frauenliebende Frauen in deutschsprachigen Serien veröffentlicht, also lesbische, bisexuelle, queere Frauenfiguren, die regelmäßig in der jeweiligen Serie zu sehen sind und nicht bloße Episodenrollen. Auch für dieses Jahr hatte ich mir das fest vorgenommen – und es in den letzten Wochen immer wieder aufgeschoben. Der Grund: Ich hatte keine Lust, mich mit dem Thema zu beschäftigen, weil es so unendlich frustrierend ist. Seit 2012, als ich zum ersten Mal eine entsprechende Übersicht veröffentlicht habe, hat sich kaum etwas bewegt und wenn, dann in die falsche Richtung. Weil ich aber auch nicht einfach nichts zu dem Thema schreiben wollte, habe ich mir im Folgenden stattdessen genau diesen Frust von der Seele geschrieben.
Was andere können, können deutsche Serien noch lange nicht – leider
Vor einigen Wochen veröffentlichte das Onlinemagazin Pride eine Übersicht aller lesbischen Figuren in amerikanischen bzw. englischsprachigen Serien, die im amerikanischen Fernsehen ausgestrahlt werden oder in den USA bei Video on Demand-Anbietern verfügbar sind. Die Übersicht umfasste ingesamt 44 Figuren. Wohlgemerkt waren das nur die als lesbisch identifizierten Figuren. Für andere nicht-heterosexuelle Figuren gab es eine eigene Übersicht. In den Erläuterungen zu der Übersicht wurde zudem ausgeführt, dass keine Figuren erfasst wurden, die in einer Animationsserie, einem Reality-Programm oder einer Soap Opera vorkommen.
Spätestens an diesem Punkt war mir ein bisschen zum Weinen zumute. Die letzte von mir erstellte Übersicht für deutschsprachige Serien, die im deutschen Fernsehen ausgstrahlt werden, aus dem Oktober 2015 bestand aus sechs Figuren. Ohne “Seifenopern” – einschließlich der Lindenstraße und Telenovelas wie Rote Rosen – wären es sogar nur zwei gewesen, nämlich Dr. Heike Steinbeck aus der ZDF-Krimiserie Die Chefin und Liz Ritschard aus dem Schweizer Tatort. Da Heike inzwischen aus der Serie ausgeschieden ist, bleibt aktuell nur Liz*. Selbst wenn man bedenkt, dass im US-Fernsehen deutlich mehr englischsprachige Serien laufen als deutschsprachige im deutschen Fernsehen, ist ein Verhältnis 1 : 44 trotzdem irgendwie bitter.
Wenn es Geschichten gibt, sind sie meistens nicht gut erzählt
Es kommt hinzu, dass die meisten Geschichten in deutschen Serien, die mit lesbischen oder bisexuellen Frauenfiguren erzählt werden, überwiegend nicht dazu geeignet sind, Begeisterungsstürme auszulösen. Die Liebesgeschichte zwischen Isabelle und Eliane in der ARD-Telenovela Rote Rosen beispielsweise hatte zwar einige wirklich schöne, da gut geschriebene und gut gespielte Momente. Davon hätte zumindest ich gern mehr gesehen. Die Storyline und die Figur Isabelle Münzberg wirkten jedoch insgesamt eher schlampig entwickelt. Die Geschichte kam zu Beginn kaum in Gang, Isabelles Reaktionen waren nicht immer stimmig. Dann hatten sich Isabelle und Eliane endlich gefunden und durften einige Folgen lang glücklich sein, bis Isabelle dann sehr abrupt feststellte, dass sie doch lieber woanders als in Lüneburg ihre frisch entdeckte Homosexualität ausleben wollte. Eliane blieb mit gebrochenem Herzen zurück. Die Figur ist immer noch Teil der Serie, hat aber – für die Serie nicht wirklich überraschend, aber deshalb nicht weniger frustrierend – seit Isabelles Weggang bisher kein romantisches Interesse mehr an einer anderen Frau gezeigt.
So enttäuschend die Entwicklung bei Rote Rosen auch war, die Geschichte war insgesamt immer noch besser als das, was sich die Autor*innen von Die Chefin für Heike Steinbeck ausgedacht hatten, bisher eine meiner erklärten Liebelingslesben in einer deutschen Serie. Mehr als einmal hatte ich da den Wunsch zum Ausdruck gebracht, dass ich sie gern mal mit einer Freundin sehen würde. Zu Beginn der 6. Staffel, die im Frühjahr ausgestrahlt wurde, war es dann tatsächlich soweit: Heike durfte eine Frau küssen. Leider hatte das jedoch seinen Preis. Im weiteren Verlauf der Folge wurde Heike erst vergewaltigt, dann von ihrer Freundin verlassen und zum Schluss von ihrem Vergewaltiger entführt und zusammengeschlagen. Und als wäre das alles noch nicht schlimm genug, gab es in der Folge auch noch eine tote Lesbe, eine Bekannte von Heike, die ihr helfen wollte und von dem Vergewaltiger getötet wurde. Das “Dead Lesbian Syndrome” lässt grüßen. Leider war diese schlimme Folge der letzte Auftritt der Figur Heike Steinbeck in der Serie.
Immerhin konnte man damals, im Frühjahr dieses Jahres, noch darauf hoffen, dass das ZDF selbst den Verlust dieser frauenliebenden Frauenfigur dadurch kompensieren würde, dass eine andere Figur, ebenfalls in einem ZDF-Krimi, ihre Liebe zu Frauen entdeckt. In der Vorabendserie SOKO Stuttgart hatte die Kommissarin Martina Seiffert sich mit der lesbischen Journalistin Paula Voss angefreundet und es deutete sich an, dass sich zwischen diesen beiden mehr entwickeln könnte. Tatsächlich kam es in der ersten neuen Folge der Serie, die Anfang Oktober ausgestrahlt wurde, zwischen den beiden zu einem Kuss, der zwar von Paula initiiert wurde, Martina aber nicht kalt gelassen hat. In der darauffolgenden Episode gab es eine Umarmung und eine Verabredung, zusammen feiern zu gehen, allerdings in Begleitung anderer Leute. Seitdem: Nichts. Nada. Niente. Selbst wenn sich zwischen Martina und Paula in der Zwischenzeit eine Liebesbeziehung entwickelt haben sollte, haben die Zuschauer*innen davon bisher nichts zu sehen bekommen und es wird dazu auch nur noch wenig Gelegenheit geben. In der kommenden Folge geht die Figur Paula nämlich auf eine “große Reportage-Reise” und wird in der Serie erst einmal nicht mehr dabei sein. Auch diese Geschichte muss daher vorläufig in den Rubriken “enttäuschend” und “vertane Chance” abgelegt werden.
Lichtblick mit Wermutstropfen
Die einzige deutsche Serie, die mir in diesem Jahr bisher in Bezug auf frauenliebende Frauenfiguren mehr Freude als Frust bereitet hat, ist – wieder einmal – Gute Zeiten, schlechte Zeiten (GZSZ). Zwar finde ich es immer noch bedauerlich, dass man mit der Figur Jasmin lieber eine heterosexuelle Inzestgeschichte erzählt hat, als ihre Beziehung mit Anni zu retten, aber immerhin gab es zwischen den beiden Ex-Freundinnen einige ganz schöne Momente, in denen deutlich wurde, wie viel die beiden einander bedeuten, auch wenn sie kein Paar mehr sind. Das dürfte ein wenig Balsam für die geplagte Fanseele gewesen sein. Worüber ich mich zudem sehr gefreut habe war, dass ich dank GZSZ die Schauspielerin Meike Schlüter mal wieder auf meinem Fernsehschirm sehen durfte, den meisten wohl vor allem bekannt durch die Kerstin & Sascha-Geschichte aus Hinter Gittern. Sie hatte im Frühjahr eine Gastrolle als Kommissarin. In die entsprechende Kriminalgeschichte war auch Anni verwickelt, aber auch da ist es GZSZ gelungen, typische Lesben-Klischees gekonnt zu umschiffen. Dass von vier Frauen ausgerechnet die Lesbe die einzige war, die nicht zu irgendeiner Zeit wegen Mordverdachts im Gefängnis gelandet ist, obwohl das Opfer der neue Lover ihrer Ex war, fand ich schon irgendwie bemerkenswert.
Und nun gibt es sogar ein neues Frauenpaar, denn Anni hat mit Rosa angebandelt, einer Geschäftsfrau aus Hamburg, die eigentlich so gar nicht zu ihr passt, was die Geschichte aber interessant macht. Natürlich gab es zwischen den beiden zu Beginn die obligatorischen – und daher für mich eher nervigen – Streitigkeiten, bei denen vor allem Annis Verhalten aus meiner Sicht nicht immer zu der Figur passte, sondern ein wenig “out of character” war und die Figur unnötig unsympathisch gemacht hat.
Was mir an der Geschichte jedoch gut gefällt ist, dass es keine herkömmliche Coming-out-Geschichte ist. Beide Frauen, sowohl Anni als auch Rosa, wussten, bevor sie etwas miteinander angefangen haben, dass sie Frauen lieben. Das Hindernis für sie zusammenzukommen bestand daher nicht darin, dass sich eine Figur, die sich zuvor als heterosexuell identifiziert hatte, erst damit auseinandersetzen musste, plötzlich einen Menschen desselben Geschlechts zu lieben, sondern dass Anni sich überwinden musste, ihren Gefühlen für eine Frau nachzugeben, die so überhaupt nicht in ihr “Beuteschema” passt. Die Geschichte wird damit bisher aus einer ausschließlich lesbischen Perspektive erzählt, was immer noch selten der Fall ist. Ungewöhnlich ist zudem, dass es bei den beiden Frauen, jedenfalls bisher, nicht um die große Liebe geht, sondern um Leidenschaft und Begehren. Dass homosexuelles Begehren für so manche Zuschauer*innen noch immer irritierend ist, zeigen einige Kommentare in sozialen Netzwerken als Reaktion auf die erste Sexszene der beiden. Umso wichtiger ist es, dass es in einer beliebten, zuschauerstarken Serie wie GZSZ zu sehen ist.
Auch bei GZSZ geht es jedoch nicht ganz ohne Frust. Vor einigen Wochen war auf dem RTL-Twitteraccount zu lesen, dass Joana Schümer alias Rosa ihren letzten Drehtag hatte und die Serie somit schon in Kürze wieder verlassen wird. Damit steht das derzeit einzige (!?) Frauenpaar in einer deutschen Serie auch schon wieder vor dem Aus. Sehr, sehr schade.
Und nun?
Was folgt nun also aus all dem Frust, den ich mir hier gerade von der Seele geschrieben habe? Ich habe keine Ahnung, und das ist mindestens ebenso frustrierend.
Ich würde gern aufhören, mir Gedanken über die Darstellung und Sichtbarkeit von LGBTQI* und insbesondere lesbischen, bisexuellen, queeren Frauen im deutschen Fernsehen und vor allem deutschen Fernsehserien zu machen. Nur leider bin ich davon überzeugt, dass genau diese Sichtbarkeit wichtig ist, um in der Gesellschaft auf Dauer mehr Akzeptanz zu bewirken. Visibility matters. Ich möchte auch nicht eine von den Serienfans werden, die jede deutsche Serie per se verdammen. Mord mit Aussicht, Der Tatortreiniger, Club der roten Bänder sind nur einige Beispiele für Serien, die in Deutschland produziert wurden und die ich sehenswert fand, selbst wenn auch hier der Aspekt “Vielfalt” an der ein oder anderen Stelle zu wünschen übrig ließ bzw. lässt.
Also werde ich wohl weiter hoffen müssen, wenn auch vielleicht mit ein bisschen weniger Optimismus, dass sich mehr deutsche Serienmacher und Verantwortliche in den jeweiligen Sendern von ihren heteronormativ geprägten, klischeelastigen Erzählstrukturen verabschieden und sich für vielfältigere Geschichten und Figuren öffnen. Zu Anfang wäre ich ja schon mit einer weiteren Frauenfigur zufrieden, meinetwegen auch in einer öffentlich-rechtlichen Vorabendserie, die Frauen liebt, ohne dass dies großartig erklärt oder betont werden müsste, und die nach Möglichkeit nicht bei erster Gelegenheit von ihrer Partnerin mit einem Mann betrogen, vergwaltigt oder umgebracht wird. Figuren also, wie man sie in immer mehr internationalen Serien wie beispielsweise Grey’s Anatomy (Arizona Robbins), Call the Midwife (Patsy Mount & Delia Busby), The Fosters (Stef & Lena Adams Foster) oder seit Neuestem auch Wynonna Earp (Officer Nicole Haught) findet, aber eben immer noch viel zu selten im deutschen Fernsehen.